Laut aktuellem „Branchenbericht Medizintechnologien 2020“ des BVMed, beschäftigt die Branche in Deutschland insgesamt über 210.000 Menschen und erwirtschaftet einen Gesamtumsatz in 2019 von 33,4 Milliarden Euro. Die Branche bleibt mittelständisch geprägt. 93% der MedTech-Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter. Gerade mal 90 MedTech-Unternehmen in Deutschland beschäftigen über 250 Mitarbeiter.

Mit einer Exportquote von rund 65% bleibt Deutschland ein wichtiger Lieferant für innovative und qualitativ-hochwertige Medizintechnologie für den globalen Markt. In Corona-freien Zeiten ein wesentlicher Faktor für nachhaltiges und gesichertes Wachstum, in Pandemie-Zeiten hingegen ein massiver Umsatzausfall, der insbesondere den Mittelstand vor existentielle Herausforderungen stellt.

Zu den wesentlichen Wachstumstreibern gehören, der demographische Wandel und die damit einhergehend zunehmende Lebenserwartung, der kontinuierliche Ausbau der Gesundheitssysteme in aller Welt, sowie das stetige Wachstum in den Emerging Markets mit steigendem Bedarf nach Medizintechnikprodukten aller Art. 

Das weltweite Marktvolumen für MedTech-Produkte wird innerhalb der nächsten Jahre aufgrund einer wachsenden Mittelschicht, insbesondere in der asiatischen Region, stark ansteigen und damit Europa von Platz 2 der wichtigsten MedTech-Märkte verdrängen. Deutsche MedTech-Unternehmen werden von diesem immensen Bedarf profitieren und zählen für einen Großteil dieser Länder bereits heute zu den Hauptimporteuren.

Die deutsche MedTech-Branche zeichnet sich durch enorme Innovationskraft sowie kurze Produktzyklen aus. Laut aktuellem Branchenbericht des BVMed erzielen die deutschen Medizintechnikhersteller rund ein Drittel Ihres Umsatzes mit Produkten, die nicht älter als 3 Jahre sind. 

Des Weiteren profitiert die Branche von einer überdurchschnittlich ausgebildeten Mitarbeiterschaft sowie einer Technologieführerschaft in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Fertigung.

Doch wie sieht die Welt nach Corona aus? Der demographische Wandel und der steigende Bedarf werden bleiben, die Frage ist doch, ob es kurz- bis mittelfristig ausreichend MedTech-Unternehmen geben wird, welche die steigende Nachfrage bedienen können?

Trotz vielversprechender Wachstumsperspektiven steht die deutsche MedTech-Branche im Inland vor enormen Herausforderungen, und das bereits vor der weltweiten Corona-Krise. 

Die Stimmung hat sich deutlich eingetrübt, das zeigen die Ergebnisse einer vom BVMed bereits im Herbst 2019 durchgeführten Umfrage. Die erwartete Umsatzentwicklung im Inland war zu diesem Zeitpunkt mit nur noch 3,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr (4,2 Prozent) bereits stark rückläufig. 

Zu den wesentlichen Herausforderungen gehören der zunehmende Wettbewerbsdruck, insbesondere durch den Markteintritt günstiger asiatischer Anbieter,  der Preisdruck durch Nachfragebündelung der Einkaufsgemeinschaften, die anhaltende Privatisierung der Krankenhauslandschaft, die Absenkung der sachkostenintensiven DRG-Fallpauschalen, die Herausforderungen der Digitalisierung, der Fachkräftemangel, sowie an vorderster Front die Zunahme der regulatorischen Anforderungen an die Zulassung sowie die Nutzenbewertung, als Voraussetzung für die Erstattung, im Rahmen des deutschen Gesundheitssystems.

Anhaltend steigende Kosten und sinkende Preise führten bereits vor Corona zu einer besorgniserregend pessimistischen Gewinnerwartung, sodass nur noch 12 Prozent der befragten Unternehmen mit einer im Vergleich zum Vorjahr verbesserten Gewinnsituation gerechnet hatten.

Der Druck auf die mittelständisch geprägte Medtech-Branche wird weiter zunehmen, sodass sich der Konsolidierungstrend weiter fortsetzen wird. Die Corona-Pandemie sowie Ihre wirtschaftlichen Folgen werden Konzentrationsprozesse weiter beschleunigen, um Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Die Gründe für Zukäufe sind ähnlich gelagert wie in anderen Branchen und dienen vorwiegend der Akquisition von methodischen und technischem Know-How, dem Zugewinn von Software- und Hardware-Kompetenz, dem Zukauf von Ressourcen und Kapazitäten, dem Zugang zu neuen Märkten (Marktentwicklung) und Kundengruppen sowie der strategischen Erweiterung der Produktpalette.

Weiterer und wesentlicher Grund für die schlechte Stimmung ist die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR), deren verpflichtende Umsetzung aufgrund von Corona zwar um ein Jahr verschoben wurde, die damit einhergehende Herausforderungen hingegen dieselben bleiben.

Die neue Verordnung verpflichtet die Hersteller von Medizintechnikprodukten zu einer Re-zertifizierung aller derzeitig verkehrsfähigen Medizinprodukte. Dies führt zu einer zusätzlichen Kostenbelastung für die Unternehmen, aufgrund aufwendigerer Prozesse und zusätzlichem Personalaufwand und resultiert zwangsläufig in steigenden Preisen, mit allen negativen Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit.

In der Konsequenz kann dies dazu führen, dass Medizinprodukte vom Markt verschwinden bzw. gar nicht erst gelauncht werden und somit für die Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Hinzu kommen Ressourcendefizite bei den benannten Stellen, sodass mit einer Verzögerung von Zulassungsverfahren und somit mit verlängerten Time-to-market Perioden, mit allen damit einhergehenden Umsatz und Gewinneinbußen zu rechnen ist. Von den existierenden 55 benannten Stellen sind bisher nur ein Bruchteil für die MDR benannt. Alleine für die Neu-Zertifizierung der Bestandsprodukte scheint es an Kapazitäten zu fehlen. Erschwerend hinzu kommen die Auswirkungen durch Corona. Benannte Stellen mussten schließen oder sind in Ihrer Tätigkeit eingeschränkt. 

Laut BVMed Branchenbericht geben 83 Prozent der MedTech-Unternehmen offene Stellen an. An der Spitze der offenen Stellen stehen Vertriebsmitarbeiter (54 Prozent) sowie Regulatory-Affairs-Fachkräfte. Der höhere Personalbedarf im Bereich der Regulatorik, ist die  unmittelbare Konsequenz aus den gestiegenen regulatorischen Anforderungen aus der neuen Medizinprodukte Verordnung. 

Es folgen die Bereiche Produktion (24 Prozent), Key-Account Management (23 Prozent) sowie IT-Managment, Forschung/Entwicklung und Marketing/Kommunikation (jeweils 18 Prozent). 

77 Prozent der Unternehmen haben Probleme, die offenen Stellen zu besetzen. Insbesondere betroffen hiervon sind der Vertrieb (32 Prozent) sowie der Bereich Regulatory Affairs (31 Prozent).

Die gestiegene Nachfrage nach qualifiziertem Personal trifft auf einen klassischen Anbietermarkt, in dem die Nachfrage das Angebot weit übertrifft. Dies resultiert in einem Wettbewerb um die besten Köpfe (War of talents) der Branche.

Jedes Unternehmen ist auf der Suche nach leistungsbereiten und kompetenten Mitarbeitern, doch nicht jedes Unternehmen wird sich die Besten leisten können, denn diese haben Ihren Preis.

Das Rennen entscheiden werden die Unternehmen, die Ihren Mitarbeitern neben den klassischen Pay-for-Performance-Modellen, attraktive Gesamtvergütungsmodelle mit Zusatzleistungen wie z.B. Betriebsrenten, Unternehmensbeteiligungen, Sonderprämien etc. anbieten können und Ihren Mitarbeitern zudem eine langfristige Perspektive und Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen aufzeigen. 

Langfristig erfolgreich werden die Unternehmen sein, denen es gelingt, Ihren Mitarbeitern individuelle Zielerreichungsanreize aufzuzeigen und sie gleichzeitig dazu zu motivieren, die langfristigen, strategischen Unternehmensziele gemeinschaftlich zu erreichen.

In vielen Unternehmen erfolgt die Vergütung immer noch mit klassischen Verkaufsprovisionen. Damit lässt sich der Vertrieb aber nur schwerlich im Sinne der Unternehmensziele führen. Hierbei überlassen die Verantwortlichen den Erfolg des Gesamtunternehmens dem Engagement des Einzelnen mit ungewissem Ausgang. Führungskräfte geben Ihre Verantwortung an die Mitarbeiter ab, qualifizierte Führung wird somit vernachlässigt.

Smarte Vergütungsmodelle im Vertrieb haben heute den Charakter von Führungs- und Steuerungsinstrumenten. Über moderne Vergütungssysteme wird der Mitarbeiter unmittelbar an die Erreichung der Unternehmensziele gebunden und trägt somit wesentlich zum langfristigen Erfolg des Unternehmens bei. 

Solche Vergütungsmodelle berücksichtigen neben den klassischen Umsatzzielen u.a. Ertragsziele, Fokusprodukte, Deckungsbeiträge, price-erosion etc. 

Es geht um Zukunftsorientierung und einen Prozess der kontinuierlichen Mitarbeiterentwicklung durch einen transformationalen Führungsstil und agile Strukturen.

Es geht um nachhaltige Anreize für Mehrleistung und um die Identifikation mit dem Unternehmen, statt um Exploitation der Unternehmensressourcen durch Fokussierung auf kurzfristige operative Ziele. 

Die Marktstudie „Medizintechnik 2020“ von Luther und Clairfield in Kooperation mit dem BVMed formuliert folgende Lösungsstrategien für die MedTech-Branche um die Marktposition zu behaupten und auszubauen:

  • Prozess- und Kostenoptimierung entlang der Wertschöpfungskette
  • Überprüfung der langfristigen strategischen Ausrichtung in Bezug auf Portfolio, Zielmärkte und Zielkunden
  • Ausarbeitung einer M&A Strategie und Erschließung neuer Märkte
  • Gezielte Akquisition fehlender Technologien oder Know-How (Buy&Build)

Des Weiteren elementar ist die Investition in wirksame und nachhaltige Mitarbeiterentwicklung mittels moderner Methoden wie Training, Coaching und Mentoring. 

Investieren Sie in die Entwicklung Ihrer Führungskräfte und Talente und beugen Sie somit der Fluktuation Ihrer Leistungsträger vor. Denn diese verlassen in der Regel nicht das Unternehmen, sondern Ihre Vorgesetzen. 

Implementieren Sie transformationale und agile Führungsstrukturen und machen Sie Ihre Mitarbeiter zu echten Beteiligten. Schaffen Sie ein gutes Betriebsklima durch eine gemeinsame Werteorientierung und gehen Sie als Leader mit bestem Beispiel voran.

Entwickeln Sie attraktive Vergütungsmodelle, die Leistungsträger halten und High-Potentials anzieht und Sie somit zu einem attraktiven Arbeitgeber macht. Lösen sich von Anreizsysteme, die ausschließlich auf kurzfristige Zielerreichung abzielen und implementieren Sie stattdessen Ziele die unmittelbar an die Erreichung der Unternehmensziele gebunden sind.

Schärfen Sie Ihre Positionierung, Fokussieren Sie Ihren gesamten Akquisitionsprozess auf den Kundennutzen (Value Selling) und investieren Sie in die Digitalisieung Ihrer Geschäftsprozesse, insbesondere in den Bereichen Entwicklung, der Fertigung sowie in der Kommunikation und Absatzwegepolitik des Unternehmens.

Auch wenn die deutsche MedTech-Branche weiterhin, und insbesondere aufgrund der Corona-Krise, großen Herausforderungen gegenüber steht, so bleibt die Branche nach Ansicht der meisten Experten stabil und innovativ. Weiterhin wird sie weltweit eine führende Rolle in der Medizintechnik einnehmen.

Maximilian Weipprecht

Quellen:

Marktstudie „Medizintechnik 2020“ von Luther und Clairfield in Kooperation mit dem BVMed | „Große Herausforderungen, aber auch neue Marktchancen“

Medizinische Fertigung auf höchstem Niveau: Der digitale Wandel in der Medizintechnik

Marktstudie Medizintechnik 2020